Gewalt

Gewalt zeichnet sich im Vergleich zu anderen Konfliktlösungen dadurch aus, dass ein subjektiv empfundener verkürzter Zeithorizont und ein verengter Pool von Handlungsoptionen vorliegen. Oder andersherum: Für friedliche Konfliktlösungen braucht man Zeit und Kompetenz (insbesondere sprachliche Kompetenz). Und: Man muss etwas zu verlieren haben. Nimmt man an, Menschen handeln rational, würde jeder Entscheidung für oder gegen Gewalt ein Abwägen von Kosten und Nutzen einer Gewalttat vorausgehen: Was bringt mir eine gewalttätige Auseinandersetzung und was setze ich aufs Spiel? Hieraus lässt sich ableiten, welche entscheidenden Faktoren gewaltbereites Verhalten aus einer subjektiven Perspektive begünstigen: (1) wenig Zeit für Handlungsspielraum, (2) eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten und Kompetenzen für kommunikative Konfliktlösungen und (3) kein Risikobewusstsein, weil die Gewaltanwendung rational erscheint. Diese drei Faktoren können nicht über längere Zeit vollständig ausgeschaltet werden, weshalb auch in insgesamt friedlichen Gesellschaften Gewalt regelmäßig auftritt. Bspw. kann Alkohol- bzw. Drogenkonsum zu einer kurzfristigen Verschärfung aller drei Faktoren führen. Besonders problematisch wird ein Zustand dann, wenn eine mehr oder weniger große Gruppe von Jugendlichen unter Sozialisationsbedingungen aufwächst, die langfristig alle Faktoren kritisch erscheinen lassen. 

 

Die pädagogische Arbeit mit aggressiven Jugendlichen erfordert auf der einen Seite Konfrontation, Autorität und Führung und auf der anderen Seite Verständigung, Wertschätzung und Anerkennung. Diese Gratwanderung bringt pädagogische Fachkräfte nicht selten in widersprüchliche Situationen, in denen immer auch Fingerspitzengefühl eine besondere Rolle spielt. Die Jugendlichen können mit Autorität und Konfrontation sehr gut umgehen, häufig wünschen sie sich ein solches Verhältnis zu Erwachsenen. Hier gilt es nicht, zu dominieren oder durch autoritäre Erziehung auf die Jugendlichen einzuwirken. Vielmehr können durch klare, transparente und konsequent eingehaltene Regeln Überforderungssituationen vermieden werden. Aus der Führung der pädagogischen Fachkraft können die Jugendlichen Orientierung gewinnen, aus der heraus Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sukzessive gefördert werden können. Hier gilt also das klassische Motto: Erst führen, dann wachsen lassen.



Publikation

El-Mafaalani, Aladin; Toprak, Ahmet (2012): Eine Frage der Männlichkeit. Duelle bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland. In: Krug-Richter, Barbara; Ludwig, Ulrike; Schwerhoff, Gerd (Hrsg.): Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne. Bielefeld.

 

Toprak, Ahmet; El-Mafaalani, Aladin; Nowacki, Katja (2011): Gewalt von Jugendlichen aus Migrantenfamilien. In: Deegener/Körner (Hrsg.): Gewalt und Aggression im Kindes- und Jugendalter. Ursachen, Formen, Intervention. Basel.

 

El-Mafaalani, Aladin; Toprak, Ahmet (2010): Ausgrenzung und Aggression. Sozial benachteiligte Jugendliche mit Migrationshintergrund. In: Fördermagazin 4/2010.