Bildungsaufsteiger aus benachteiligten Milieus
Das deutsche Bildungssystem spielt im politischen und wissenschaftlichen Diskurs eine anhaltend zentrale Rolle. In verschiedenen Studien wurde festgestellt, dass der Bildungserfolg stark von der
sozialen Herkunft abhängt. Gleichzeitig wird im deutschen Bildungssystem eine sinkende Durchlässigkeit nach oben konstatiert. Institutionelle Bedingungen des Schulsystems werden dabei genauso
thematisiert wie Merkmale von benachteiligten Gruppen selbst (bspw. deren soziale oder kulturelle Defizite). Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, was den Bildungserfolg von sozial
Benachteiligten begünstigt.
Der Großteil der quantitativen Untersuchungen konzentriert sich auf die Analyse von Zusammenhängen, die vordergründig institutionelle Bedingungen fokussieren: Effekte von Schulformen, Klassengrößen,
Stadtteilen oder Formen institutioneller Diskriminierung. Der Großteil mikrosoziologischer Untersuchungen legte bisher die Schwerpunkte auf die Analyse von sozial auffälligen Kindern und
Jugendlichen, von abweichendem Verhalten und Misserfolgskarrieren oder bspw. auf die Aspekte Migration oder Geschlecht als benachteiligende Faktoren. Alle genannten Vorgehensweisen haben dazu
beigetragen, dass die Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft, Geschlecht und Bildung umfassend be/erkannt sind und aufgezeigt welche Risiken dieses Agglomerat von Chancenungleichheiten für
Arbeitsmarkt und Sozialstaat einer Wissensgesellschaft birgt. Die Übertragung dieser Erkenntnisse in die pädagogisch-institutionelle Praxis gelingt hingegen kaum. Der internationale Vergleich sowie
eine damit einhergehende Orientierung an „erfolgreichen“ Bildungssystemen haben Anregungen gebracht, allerdings lässt die Ausgangslage des deutschen Bildungssystems häufig kein unmittelbares
Nachahmen von Erfolgsgeschichten zu. So ergeben sich eine Reihe von Besonderheiten für das deutsche Bildungssystem, die in kaum einem anderen OECD-Staat vergleichbar bestehen: Frühe Selektion durch
Benotung in der Primarstufe, das 3-gliedrige Schulsystem, föderale Organisation von Bildung, der Beamtenstatus von Lehrkräften, erheblich eingeschränkte Autonomie der Schulen, eine vergleichbar
schwach ausgeprägte Kooperationskultur zwischen verschiedenen beteiligten Perspektiven (Schulen, Schulleitung, Lehrkräfte, Eltern, Sozialen Einrichtungen, Betrieben, Arbeitsamt etc.), eine relativ
homogen zusammengesetzte Lehrerschaft gegenüber einer immer heterogeneren Zusammensetzung der Schülerinnen und Schülern usw.
Eine noch wenig ausgelotete Herangehensweise ist die Orientierung an den Potenzialen des deutschen Bildungssystems: Auf welcher Grundlage können in Deutschland Anknüpfungspunkte für Handlungsansätze
im Bildungswesen entwickelt werden? Welche Maßnahmen können (von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren) einen bedeutsamen Einfluss auf die Bildungssituation von benachteiligten Gruppen nehmen?
Daraus ergibt sich folgende zentrale Frage: Was ermöglichte aus Sicht erfolgreicher „Bildungsaufsteiger aus benachteiligten Milieus“ ihren schulischen und akademischen Werdegang?
Das Projekt untersucht die Hintergründe der (trotz aller negativen Meldungen dennoch) stattfindenden Bildungsmobilität nach oben. Wie haben es einige trotz ungünstiger Ausgangslagen geschafft? Aus
der Betrachtung der „Verlierer“ der Bildungsreformen lassen sich Merkmale von Benachteiligung herausstellen – plakativ ausgedrückt: Welche Gruppen häufen sich auf Sonder- und Hauptschulen bzw.
erreichen signifikant seltener qualifizierende Abschlüsse: Jungen und Männer aus Arbeiterfamilien, insbesondere Migranten und ihre Nachkommen. Gleichzeitig wird eine sinkende Durchlässigkeit im
Zeitverlauf konstatiert. Darauf bezogen werden zwei Fragen fokussiert: (1) Welche Gemeinsamkeiten haben alle untersuchten Personen und (2) welche Perspektiven ergeben sich in der differenzierten
Betrachtung von Migrat/inn/en und Einheimischen sowie des Geschlechts?
Keywords: Bildungsmobilität, soziale Mobilität, Migration, empirische Bildungsforschung, Biografieforschung, Habitustransformation, Milieu, dokumentarische Methode
Publikation
El-Mafaalani, Aladin (2012): BildungsaufsteigerInnen aus benachteiligten Milieus. Habitustransformation und soziale Mobilität bei Einheimischen und Türkeistämmigen. Wiesbaden: Springer VS.
[Springer VS]
Diese Arbeit wurde mit dem Forschungspreis für Kulturwissenschaften des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) ausgezeichnet.